Auch CEOs müssen wissen, was ihre Aufgabe ist!
, von Manuel Endress
Interim Manager Jens Reichert ist Spezialist für Organisationsberatung. Im Bridge-Experten-Interview erklärt der erfahrene Interim-Profi, was gute Organisationsentwicklung in Unternehmen wirklich ausmacht, welche Hürden sich die Firmen bei Transformationsprozessen oft selbst in den Weg legen und warum die Bereitschaft zur permanenten Selbsterneuerung für den Unternehmenserfolg unbedingt nötig ist.
Was macht eigentlich ein Organisationsberater und worauf sollten Unternehmen bei der Organisationsentwicklung achten, um Herausforderungen operativ zu meistern und dabei gleichzeitig zukünftige Trends und Chancen im Blick zu behalten und strategisch anzugehen?
Jens Reichert ist seit vielen Jahren als Interim Manager in der Position CFO mit Schwerpunkt Controlling sowie als Organisationsberater mit dem Fokus kaufmännische Prozesse tätig. Aus zahlreichen Mandaten kennt der erfahrene Finance-Manager die Herausforderungen und Probleme bei der Transformation hin zu neuen Prozessen.
Auf einen Blick: Unsere ausführliche Checkliste zeigt, worauf Sie bei der Organisationsberatung achten müssen
Bridge imp: Herr Reichert, Sie sind seit vielen Jahren als Interim Manager im Bereich Organisationsberatung und Prozessentwicklung tätig. Was macht gute Prozessoptimierung in einem Unternehmen aus?
Jens Reichert: Zunächst sollte man immer einen zukunftsorientierten und vorausschauenden Blick auf die Dinge haben. Ein Organisationsberater beobachtet die Entscheidungsprämissen und das Kommunikationsverhalten in der Organisation im Hinblick auf die aktuellen Probleme in der Firma. Durch die Konfrontation des Auftraggebers mit diesen Erkenntnissen liefert er Ansätze und Entscheidungsgrundlagen für zukünftige Projekte und Transformationen. Dabei gibt es zumeist zwei Kernaufgaben: in den operativen Prozessen sicherstellen, dass die Abteilungen innerhalb der Organisation effektiv und wirtschaftlich zusammenarbeiten, sowie in der strategischen Organisationsentwicklung Modernisierungs- und Veränderungsprozesse anstoßen, die das Unternehmen nach vorn bringen.
Bridge imp: Durch Ihre Einsätze in vielen verschiedenen Firmen begegnen Ihnen regelmäßig auch neue Hürden und Probleme. Was sind häufige Herausforderungen?
Jens Reichert: Oft merken Unternehmen gar nicht, wie wenig sie sich weiterentwickeln. Alle reden über Innovation und Change, sind dabei aber ihr größter Verhinderer.
Bridge imp: Verhinderer, inwiefern?
Jens Reichert: Nun ja, Unternehmen kommen häufig nur durch äußere Einflüsse zu einer wirklichen Veränderung. Also wenn beispielsweise Wettbewerber an einem vorbeiziehen oder wenn es – wie aktuell – Krisen von außen gibt. Sich selbst einzugestehen, dass man sich über Jahre darin gesonnt hat, wie gut es läuft, ist sehr oft die größte Hürde. Denn solange es keine Gründe zur Veränderung gibt, vernachlässigt man den Aspekt, sich entsprechend strategisch vorzubereiten. Wenn dann ein schneller Veränderungsprozess notwendig wird, ist es oft schwierig.
"Oftmals wird es schmerzhaft"
Bridge imp: Wenn ein Unternehmen an dem Punkt steht, unbedingt reagieren zu müssen. Wie sieht das aus?
Jens Reichert: Oftmals wird es schmerzhaft. Schmerzhaft deshalb, weil man eben viel zu lange gewartet hat, um den Transformationsprozess anzustoßen. Häufig ist der Impuls dann: Wir müssen den Vertrieb komplett umkrempeln oder die Kosten in einzelnen Bereichen enorm kürzen. Dies hilft jedoch nur kurzfristig und ist nur in einer absoluten Insolvenzsituation ratsam bzw. notwendig.
Bridge imp: Was raten Sie Unternehmen bei deren Organisationsentwicklung, um sich für die Zukunft strategisch gut aufzustellen?
Jens Reichert: Firmen sollten unbedingt in die strategische Organisationsentwicklung und damit in die Veränderungsfähigkeit der gesamten Organisation investieren. Das heißt beispielsweise: Wie bringe ich meine Mitarbeiter dazu, nicht mehr in Silos zu arbeiten, sondern innovative Prozessoptimierung anzustoßen? Sodass alle Mitarbeitenden verstehen, was eigentlich ihr Beitrag zum Unternehmenserfolg ist. Jemand im Vertrieb und Marketing kann das meistens noch recht gut definieren, aber in den Support-Abteilungen wie Personalwesen, IT oder Finance fehlt dieses Bewusstsein nach meiner Beobachtung oft.
Bridge imp: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Jens Reichert: Ein klassisches Beispiel ist: Man hat einen Bestellprozess von Rohstoffen, bei dem bis zu 10 Leute ihr Okay geben müssen. Erst dann wird die Bestellung ausgelöst. Und am Ende fühlt sich keiner wirklich verantwortlich und es dauert ewig. Hier muss die Organisationsberatung entsprechende Veränderungen anstoßen, um agil zu bleiben. Ein weiterer häufiger Fall: Jede noch so kleine, eigentlich selbstverständliche Ausgabe muss von der Geschäftsführung freigegeben werden. Das sind die klassischen Dinge, bei welchen man unbedingt den Hebel ansetzen und hinterfragen muss. Denn ein CEO sollte strategische Aufgaben übernehmen und das Geschäftsmodell überprüfen, aber nicht jede Zahlung absegnen. Glaubt man vielleicht gar nicht, aber das gibt es tatsächlich noch sehr oft.
Bridge imp: Das heißt, der Transformationsprozess geht zuerst bei den CEOs los?
Jens Reichert: Nein, selbstverständlich setzt die Organisationsentwicklung nicht nur bei der Geschäftsführung an — aber auch. Denn auch CEOs müssen wissen, was ihre Aufgabe ist und was nicht. Es muss gelernt werden, Verantwortung abzugeben. Und zwar ganz abzugeben, inklusive Entscheidungsfreiheiten für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Der zweite Punkt ist das Mindset aller Angestellten, welche in den operativen Prozessen arbeiten. Dieses dahingehend zu ändern, dass sie den ganzen Prozess im Blick haben und nicht nur den Teil, für den sie zuständig sind.
Und das Dritte ist: Die DNA der Organisation so zu entwickeln, dass man sich selbst immer infrage stellt und strategisch in die Zukunft denkt. Auch wenn im Moment alles sehr gut läuft. Nur dann kann ein Unternehmen seine Prozesse kontinuierlich weiterentwickeln.
"Der Prophet aus dem eigenen Lande ist oft nichts wert."
Bridge imp: Also braucht es Leute, die sich ausschließlich mit der Zukunftsstrategie beschäftigen?
Jens Reichert: Ja, die braucht es. Aber diese Initiative muss vom Unternehmen selbst kommen, z.B. eine Strategie-Abteilung aufzubauen, die nicht Teil des operativen Alltags ist oder virtuelle Strategie-Teams in kleinen Organisationen. Ergänzend sollte man einen externen Organisationsberater oder Interim Manager dazu zu holen, der auf Augenhöhe arbeitet und die Prozesse in Frage stellt. Denn ein Prophet im eigenen Lande ist oft nichts wert.
Bridge imp: Der Prophet im eigenen Lande ist oft nichts wert. Wie meinen Sie das?
Jens Reichert: Auch hier zeigt es ein Beispiel ganz gut. Ein Projekt in einer einzelnen Abteilung ist wie ein überwachtes Experiment. Man sagt einem Teil der Firma: Ihr sollt es jetzt anders machen als der Rest und neue Erfahrungen sammeln, neue Tools testen, Workshops besuchen usw. Betrachtet man nun das gesamte Unternehmen, mit beispielsweise 1.000 Mitarbeitern, dann entwickeln sich diese wenigen Menschen weiter, während der große Rest im Innensystem des Unternehmens ist. Am Ende des Projekts sollen nun mit den neuen Erkenntnissen auch neue Prozesse etabliert werden. Allerdings wird das vom großen Rest oft ausgebremst, da diese Leute die Veränderungserfahrung ja nicht miterlebt haben. Da heißt es dann, ´wir gucken mal, was wir davon nehmen können´. Und dann gliedert man die Leute aus dem Projekt wieder in den Alltag des Unternehmens ein und der Lerneffekt verläuft sich.
Durch strategische Organisationsentwicklung und die vorherige Definition, wie die Ergebnisse später auf das ganze Unternehmen ausgeweitet werden sollen, kann man dies verhindern.
Bridge imp: Wenn es für die Strategie schon zu spät ist – was macht man dann im operativen Tagesgeschäft?
Jens Reichert: Ein Organisationsberater sorgt im operativen Tagesgeschäft dafür, dass sich die einzelnen Abteilungen regelmäßig treffen und auf den neuesten Stand des Projekts gebracht werden, z.B. in daily stand-up meetings. Wissenstransfer ist generell immer enorm wichtig, sonst arbeiten irgendwann alle einfach nebeneinanderher.
Bridge imp: Wir haben viel über die Zukunftsstrategien gesprochen. Deshalb abschließend noch die Frage: Was glauben Sie, wie sich Unternehmen zukunftssicher aufstellen und sich vom Wettbewerb abheben können?
Jens Reichert: Früher hieß es, die Großen fressen die Kleinen und dann die Schnelleren die Langsamen. Heute würde ich sagen, die Unternehmen, die modernes Denken und systemische Organisationsentwicklung etablieren und in ihre Veränderungsfähigkeit investieren, können immer proaktiv und vorausschauend handeln. Diese Organisationen werden immer erfolgreicher sein als diejenigen, die nur auf den Markt reagieren und immer erst dann Prozesse anstoßen, wenn der Impuls von außen kommt. Die Bereitschaft zur permanenten Selbsterneuerung wird ein großes Erfolgsrezept für die nächsten Jahre sein.
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