Das Dilemma von Werkverträgen in der Fleischverarbeitungsindustrie
, von Julia Klein (Bridge imp)
Jeder Deutsche isst rund 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr.* Der Umsatz der Schlachterei- und Fleischverarbeitungsgewerbe hierzulande liegt bei ca. 45,7 Milliarden Euro.* Der Fleischskandal bei Tönnies, einem der größten Unternehmen in diesen Bereichen, zieht entsprechend große Kreise.
Die ganze Branche zieht den Kopf ein und Tönnies versteckt sich hinter seinen Werkverträgen. Die seien an der drastischen Ausbreitung des Corona-Virus schuld. Denn die darüber angestellten Mitarbeiter leben üblicherweise in hoher Zahl auf wenigen Quadratmetern zusammen. Die Wohnsituation liegt offiziell im Verantwortungsbereich der Werkvertragsnehmer, nicht des Unternehmens. Die Politik reagiert und denkt laut über die Abschaffung dieses Vertragsmodells nach.
Bei dem Fleischverarbeiter wurden mehr als 1.500 Mitarbeiter positiv auf Corona getestet. Doch das hat vermutlich weniger mit ihrer Unterbringung zu tun als mit den Bedingungen in den Produktionshallen: feuchte, ungefilterte, 7-10 °C kühle Luft. Dieses virusfreundliche Klima ist in einem fleischverarbeitenden Betrieb ganz normal (nicht nur bei Tönnies), erklärt Carsten Barelmann, erfahrener Manager in der Lebensmittelbranche.
Werkverträge auf dem Prüfstand
Doch nun sitzen eben nicht die Produktionsbedingungen, sondern die Werkverträge auf der Anklagebank. Das gesamte Werkvertragswesen muss überdacht – es geht oft mit finanziellen Nachteilen für den Arbeitnehmer einher – aber nicht blind und ersatzlos gestrichen werden. Vielmehr ist jetzt der richtige Moment für eine lösungsorientierte Neugestaltung von Grund auf.
Wirtschaftsingenieur Carsten Barelmann ist seit vielen Jahren in der Fleischindustrie tätig. Er deckt Schwachstellen in Unternehmen auf, optimiert Prozesse und restrukturiert Organisationen. Er kennt die Problematik von Werkverträgen.
Ihm ist ein vollständiger Blick auf das Thema wichtig: Früher wurden Werkverträge vor allem für Baustellen genutzt, die viele günstige Arbeitskräfte brauchen. Niedriglohnkräfte aus Osteuropa durften nicht einfach in Deutschland angestellt werden. Der Umweg über Werkverträge machte es möglich. Mit der Freizügigkeit innerhalb der EU haben sich diese Regeln geändert. Aber das Vertragskonzept blieb erhalten.
Leere am deutschen Arbeitsmarkt
Viele Branchen würden heute ohne Mitarbeiter aus dem Ausland nicht funktionieren. Bestes Beispiel: unsere Landwirtschaft zur Erntezeit. Trotz geschlossener Grenzen durften Saisonkräfte dieses Jahr einreisen. Es gab keinen anderen Weg. Auch die Bauwirtschaft und produzierende Gewerbe setzen auf ausländische Fachkräfte und nutzen dabei z.T. Werkverträge.
Sie führen gleichförmige Arbeiten aus, die nur kurze Eingewöhnungsphasen erfordern. Automatisiert werden könnten diese Tätigkeiten nur in geringem Umfang und bei unwirtschaftlich hohen Kosten.
Entsprechende Arbeitskräfte fehlen am deutschen Arbeitsmarkt. Gleichzeitig verbessert sich die Lebensqualität in den Ursprungsländern und bietet somit weniger Anreiz, das Heimatland für Deutschland zu verlassen. Das Angebot für die riesige Nachfrage ist jetzt schon zu gering. Wir stehen vor einem Beschaffungsproblem.
Es ist schlicht unmöglich, dass die Betriebe von heute auf morgen auf alle diese Arbeitnehmer verzichten. Schon jetzt gibt es Stau in der Produktionskette. Die Viehwirtschaft steht auf der Bremse, weil die Weiterverarbeitung, z.B. bei Tönnies, ausfällt. Je länger die Tiere nicht weiterverarbeitet werden, umso mehr leidet die Qualität und der Tierschutz.
Das Risiko des Sparens
Ist die Entscheidung für Werkverträge also der einzig rentable Weg? Barelmann schätzt, dass nur ein geringer Centbetrag pro Kilo bei der Fleischproduktion für Personalkosten anfallen. Der Verzicht auf Werkverträge würde den Gewinn schmälern, aber die Unternehmen nicht bankrottgehen lassen. Es ist kein Kostenproblem, sondern eine Ertragsfrage. Und wie der Vorfall bei Tönnies zeigt, kommt der kleinere Preis mit großem Risiko.
Dennoch gehen viele dieses Risiko ein. Denn die Anstellung über Werkverträge bringt zwei weitere große Vorteile gegenüber der direkten Anstellung der ausländischen Arbeiter mit sich: Der Aufwand, einzelne Mitarbeiter im Ausland zu rekrutieren, fällt weg. Und um die Unterbringung in Deutschland kümmert sich ebenfalls der Werkvertragsnehmer.
Wie überall gibt es auch hier schwarze Schafe, deren einziges Interesse die Gewinnmaximierung ist. Sie behalten einen überproportional hohen Teil des Lohns von den Arbeitnehmern für die bereitgestellten Wohnungen ein. Hier hat die Politik bisher gerne beide Augen zugedrückt. Warum nicht analog zur Arbeitsstättenverordnung Regeln für die Ausstattung dieser Wohnräume vorgeben und deren Einhaltung entsprechend prüfen? Eine Ausnutzung des Systems würde durch die staatlichen Kontrollen unattraktiv. Seriöse Werkvertragsnehmer könnten ihre Geschäfte weiterhin in leicht veränderter Form betreiben.
Das Ende der Grauzone
„Der Ausstieg aus dem Werkvertragssystem ist kein losgelöstes Problem, sondern eine gesellschaftliche Frage“, sagt Barelmann. Eine Grundsatzentscheidung, die nicht so einfach ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Nur die populäre Abschaffung der Werkverträge zu fordern, ist nicht sinnvoll. Wir brauchen eine machbare Lösung für alle. Für alle anstehenden Änderungen gilt es, rechtliche und organisatorische Voraussetzungen zu regeln.
Der Skandal um Tönnies wird sich beruhigen. Aber die Branche sollte sich auf signifikante Änderungen einstellen, die kommen werden. Ganzheitliche Umgestaltungen, die auch auf Unternehmensseite nötig sind, dürften manchen schwerfallen, weil sie es nie anders kannten. Genau an dieser Stelle kann externe Unterstützung helfen, die den Organisationsbedarf erkennt und bedient, ohne Restriktionen durch die Vergangenheit.
Für Carsten Barelmann gibt es nur eine mögliche Lösung: die Werkverträge aus dem Graubereich heben und nachvollziehbare Kontrollen einführen. Eine saubere Grundlage wird die weniger seriösen Werkvertragsnehmer ausmerzen. So ergibt sich ein gesundes System.
Mehr zum Autor:
Carsten Barelmann ist als Interim Manager seit vielen Jahren in der Konsumgüter-Industrie, insbesondere der Lebensmittel- und Fleischproduktion tätig. Hier ist er in den Bereichen Unternehmensführung, Strategie, Organisation, Einkauf, Produktion und Verkauf / Absatz / Preisfindung im Einsatz. Seine Stärken liegen vor allem in der Erkennung von Schwachstellen in Unternehmen sowie der Personaleinsatzplanung.
Für Bridge imp war er mit hervorragender Referenz in einem Mandat in der Lebensmittelproduktion tätig. Unser Kunde sagt über ihn: „Carsten Barelmann hat mit großer Beharrlichkeit echte Verbesserungen erreicht, die sich auch in den Zahlen ausdrücken.“
*Quellen:
https://de.statista.com/themen/1315/fleisch/
https://de.statista.com/themen/4069/fleischverarbeitung-in-deutschland/
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