Der Handel und die Digitalisierung
, von Dr. Kai Hudetz (Geschäftsführer IFH Köln)
Dr. Kai Hudetz ist seit August 2009 Geschäftsführer der IFH Institut für Handelsforschung GmbH, Köln und des dort angesiedelten ECC (E-Commerce Center Köln), das er seit seiner Gründung im Oktober 1999 leitet. Seit 1996 realisiert er im IFH Köln Forschungs- und Beratungsprojekte in unterschiedlichsten Handelsbranchen.
Herr Dr. Hudetz, wie würden Sie die Handelsbranche charakterisieren? Sehen Sie eine Abgrenzung von anderen Branchen?
Eine Besonderheit ist sicher die Heterogenität des Handels mit seinen vielen Facetten. Darüber hinaus ist die Branche sehr nah am Kunden dran und spürt daher Veränderungen im Konsumentenverhalten unmittelbar. In seiner Mittlerfunktion zwischen Herstellern und Verbrauchern – es werden ja überwiegend fremde Marken und Produkte vertrieben – unterliegt der Handel einem besonderen Wettbewerbsdruck durch das Internet. Daher ist es auch die Branche, die sich durch die zunehmende Digitalisierung besonders stark verändert hat und sich noch verändern wird.
Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten aktuellen Trends und Entwicklungen?
Mit Abstand die bereits erwähnte Digitalisierung. Darüber hinaus möchte ich an dieser Stelle den demographischen Wandel erwähnen. Denn insbesondere der Einzelhandel wird sich auf die veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung und auf ein verändertes Konsumentenverhalten einstellen müssen. Das ist jedoch nicht nur eine Herausforderung, sondern bietet für die Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten und Chancen.
Herr Dr. Hudetz, wie antwortet die Branche auf diese Entwicklungen, was unternimmt sie?
Ich stelle fest: Die Branche ist aufgewacht und hat die Handlungsnotwendigkeit erkannt. Entscheidend ist nun, dass jedes Unternehmen mit seinen Möglichkeiten und Ressourcen die für sich passende Lösung findet, je nach individueller Ausrichtung und Kundenorientierung. Da viele bei ihrem Digitalisierungsprozess erst am Anfang stehen, sind manche der Konzepte sicher noch zu optimieren und ausbaufähig.
Die Lösung ist in meinen Augen ein Cross-Channel-Ansatz, also ein Konzept, dass das stationäre und das online Geschäft miteinander verzahnt. Wenn ich heute in einem Laden eine Hose sehe, die mir gefällt, aber nicht mehr in meiner Größe vorrätig ist, dann ist es mein Wunsch, dass ich diese über das Internet bestellen und dann wieder zeitnah vor Ort anprobieren und abholen kann oder direkt nach Hause geliefert bekomme. Das ist das, was der Kunde erwartet. Konsumenten denken nicht in Kanälen, sondern in Marken. Wer diese Verquickung schafft, hat sehr gute Erfolgsaussichten und die Chance, sich gegen Amazon als das Maß aller Dinge im Online-Handel zu behaupten. Die Vorteile des stationären Handels, wie Beratung und Kundennähe, müssen dann aber auch konsequent ausgespielt werden. Multi-Channel-Konzepte, bei denen das stationäre sowie das Katalog- und Online-Geschäft parallel laufen und nicht ineinander greifen, sind dagegen ein Auslaufmodell.
Wichtig ist, dass die Unternehmen Cross-Channel als Chance begreifen und nicht als lästige Pflicht ansehen, die erfüllt werden muss, um nicht vom Kunden abgestraft zu werden. Es gilt, sich beständig selber zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen.
In welchen Bereichen ist der Wettbewerbsdruck innerhalb der Branche am größten?
Stationär aufgrund der Discountermärkte sicherlich im Bereich Lebensmittel. Online ist der Druck nahezu in allen Bereichen extrem hoch, sei es bei Sportartikeln, Fashion, Bücher, Medien oder Elektronikartikeln. Denn: Der Markt ist weitestgehend gesättigt, jeder Konsument hat eigentlich nahezu alles. Es kann darum eigentlich nur mehr um einen Austausch oder eine Verbesserung, aber nicht mehr um originäre Bedürfnisbefriedigung gehen. Die Folge davon sind ein relativ konstantes Einzelhandelsvolumen über die letzten 15 Jahre sowie starke Konzentrationsprozesse: Die inhabergeführten Unternehmen nehmen in ihrer Zahl zugunsten von Verbund- oder Franchisesystemen stark ab.
Wo kann Interim Management hier unterstützen? Sehen Sie einen konkreten Bedarf?
Meiner Meinung nach haben die Unternehmen in erster Linie beim Aufbau des Online-Geschäfts Unterstützungsbedarf, denn die dafür erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen sind intern oft nicht vorhanden. Interimistische E-Commerce-Leiter könnten hier einen großen Mehrwert leisten. Doch auch wenn der Bedarf grundsätzlich vorhanden ist, muss erst das Bewusstsein innerhalb der Branche geschaffen werden. Entscheidend ist, dass die Unternehmenslenker die Thematik in ihrer enormen Bedeutung erfassen: Es geht nicht darum, auch ein „bisschen online“ zu gehen. Es geht um die komplette Digitalisierung des Unternehmens. Hierfür braucht es eine grundsätzliche Herangehensweise an das Thema, um fundierte und zukunftsträchtige Lösungen zu finden. Die Handelsunternehmen müssen sich in der digitalen Welt neu positionieren und gleichzeitig als stationäre Händler den Kunden Mehrwerte bieten.
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