Das deutsche Gesundheitssystem: Irrsinn oder Wachstumsmotor?

Herr Dr. Antonic, welche Heraus­forde­rungen und Entwicklungen beo­bachten Sie aktuell im Bereich der Gesund­heits- und Medizin­branche?

Die Hauptherausforderungen sind die Kostenexplosion im Gesundheitssystem, getrieben durch ein steigendes Durchschnittsalter der Bevölkerung, die sich daraus ergebenden Multimorbidität und die nicht vorhandenen Bereitschaft der Politik, mit der Bevölkerung in einen ehrlichen Dialog zu treten und die gesellschaftliche Frage zu diskutieren, wie viel uns unsere Gesundheit in der Zukunft wert ist. Der bequemere Weg erscheint hier offensichtlich der zu sein, dass man Gesundheit industrialisiert und entmenschlicht, um so im System steckende Kostenein­spar­potentiale zu heben. Es herrscht das degoutante Momentum der Wirtschaftlichkeit vor und das in einem der reichsten Länder der Welt. Die Möglichkeiten des 6. Kondratieffs werden hier völlig verkannt und verschlafen. Typische Beispiele sind hier die Wirkstoff­verordnung und Projekte wie ARMIN. Die Konsequenzen sind offensichtlich: ein Qualitätsverlust im Gesundheitswesen und Arbeitsplatzabbau in der Industrie sowie in den Heil- und Pflegeberufen. Ganz akut gehe ich davon aus, dass die Zahl der Pharmaberater in den nächsten drei Jahren um mind. 10% abgebaut wird, getrieben durch den Einflussverlust des Arztes im Buying Center der Generikaverordnung. Anstatt das Gesundheitssystem nur von der Kostenseite zu sehen, sollte man nach meinem Dafürhalten die Wachstumsmöglichkeiten – Gesundheit als Wirtschaftsmotor – in den Mittelpunkt stellen.

Wie schätzen Sie die Nachfrage nach Interim Management aktuell und zukünftig für diese Funktion ein?

Weiterhin steigend. Wo ein staatlich verordneter Irrsinn und ungebrochen hohen Rendite­erwartungen der Industrie aufeinander prallen, werden Unternehmen Friktionen erleben und realisieren, die durch internes Personal kaum gestemmt werden können. Der Bedarf an unbequemen externen Managern und Change-Spezialisten wird steigen. Des Weiteren werden Unternehmen in die wirtschaftliche Schieflage kommen; Schieflagen, die durch erfahrene Rauhwetter­kapitäne- und Offiziere gemeistert werden müssen. Es stehen unangenehme Entscheidungen an und wir Interim Manager werden hier unseren Tätigkeitsbereich finden.

Wo können Sie als Interim Manager konkret unterstützen?

Da gibt es ein breites Spektrum. Ganz allgemein gesagt, zeichnet sich ja ein Interim Manager dadurch aus, dass er in der Lage ist, sich sehr schnell in neue Gegebenheiten einzuarbeiten, wie sie durch das Unternehmen, den Markt, etc. vorgegeben sind. Wir haben keine ersten 100 Tage der Einarbeitung und wir brauchen sie auch nicht. Ebenso zeichnet sich ein produktiver Interim Manager durch die Fähigkeit zur schnellen Entscheidung aus; im Sturm hat man wenig Zeit, sich zu entscheiden, da muss dann alles reichlich flott gehen. Ich persönlich unterstütze Unternehmen, u.a. als Restrukturierer von Außendienstmannschaften, aber auch Kostenträger im Umgang mit der Industrie. Dabei sind meine wichtigsten „Arbeitsinstrumente“ die den Menschen der Organisation zuhörenden Ohren, ein gut trainierter gesunder Menschenverstand und meine Fähigkeit, mich nicht zum Teil des Problems, sondern zum Teil der Lösung zu machen.

Dr. Bodo R. V. Antonic ist seit 2003 als Interim Manager mit den Schwerpunkten Vertrieb, Service, Turnaround und Restrukturierung in der Gesundheits- und Medizinbranche tätig. Zudem hält Herr Dr. Antonic an der HTW Aalen Vorlesungen zu Themen wie Health-, Service-, Innovations- und Vertriebsmanagement.