Interim Manager Produktion in der Corona-Krise: Erfahrene Piloten gefragt
, von Jens Quentin (Bridge imp)

Nie zuvor war der Druck auf Führungskräfte in der Produktion größer: Innerhalb kurzer Zeit müssen Verantwortliche bei hohem Stresslevel zahlreiche Entscheidungen treffen, die in der Kombination darüber entscheiden, ob das gesamte Geschäftsjahr den Bach runtergeht oder Kennzahlen trotz Corona-Krise erreicht werden können. Wer jetzt zu schnell oder zu langsam entscheidet oder aufgrund mangelnder Erfahrung den falschen Weg wählt, gefährdet das gesamte Unternehen. Ein Interim Manager Produktion kann während der Corona-Krise wichtige Hilfe leisten.

Praxistipps vom Produktionsprofi
Sven Spies hat über 10 Jahre Führungserfahrung im produzierenden Mittelstand. Dort hat er sich in den Funktionen CRO, CEO und CFO auf Automotive-Zulieferindustrien und den Maschinen- und Anlagenbau fokussiert. Zu seinen Spezialgebieten zählen schnelle und nachhaltige Prozessoptimierungen für OEMs und Zulieferer. Spies hat zudem weitreichende Erfahrung bei der Verlagerung von Werken und Produktionen sowie in den Bereichen Turnaround / Restrukturierung.
Wo sehen Sie in der aktuellen Situation die größten Auswirkungen der Corona-Krise auf produzierende Unternehmen?
Ich betrachte die gesamte Situation momentan aus dem Blickwinkel eines Unternehmens, bei dem ich als interimistischer Geschäftsführer die größte Einheit mit einem Jahresumsatz im mittleren dreistelligen Millionenbereich verantworte. Die Corona-Krise oder allgemein eine Pandemie hat signifikante Auswirkungen auf Produktionsunternehmen. Nicht nur, weil plötzlich geplante Absatzstrukturen und daran hängende, sehr exakt geplante Businesspläne obsolet werden, sondern weil ein Unternehmen auch für das Wohl seiner Mitarbeiter verantwortlich ist.
Die größte Herausforderung aus meiner Sicht besteht nach wie vor in der Aufgabe, als Produktionsunternehmen lebensfähig und ertragreich zu bleiben. Selbst ohne eine Krise ist es eine Herausforderung, ein Unternehmen ertragreich zu führen. Unsicherheiten sind bei der Planung und Führung von Unternehmen immer schwierig. Bisher sind wir diesen als Interim Manager immer mit einem großen Erfahrungsschatz begegnet. In einer Pandemie wie aktuell bei dem Coronavirus sind die Unsicherheiten noch deutlich größer, weil auch weltumspannende Lieferketten betroffen sind. Hier sind Erfahrungen mit produzierenden Systemen und Lieferketten äußerst wichtig. Das ist ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, die dringend benötigte Liquidität abzusichern.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Produktionen auf den früheren Plan des laufenden Geschäftsjahres zurückkommen werden. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass neben einem sehr schnellen Herunterfahren bzw. dem Adaptieren von Produktionen auch ein erneutes Hochfahren von Produktionen kostengerecht vollzogen werden muss. Außerdem müssen die Produktionen gleichzeitig auf ein niedrigeres Niveau als ursprünglich geplant skaliert werden. Dabei helfen fundierte Erfahrungen im Bereich der angewandten Fertigungsmethoden, Kapazitäts- und Personalplanungen bzw. Personalmanagement.
Die aktuelle Corona-Krise lässt in diesem Jahr in Branchen wie der Automobilindustrie bei Weitem nicht mehr die ursprünglich geplanten Absatz- und Umsatzzahlen zu. Aufholeffekte könnten eintreten, sind aber ganz sicher nicht mehr in diesem Jahr realisierbar.
Gibt es aktuell Learnings, die Unternehmer im Bereich Produktion auch in Nicht-Krisenzeiten umsetzen sollten?

Auch Methoden der Digitalisierung sind hilfreich. Nicht nur, um Produktionsschwankungen besser abbilden und handhaben zu können, sondern insbesondere um in diesen schweren Situationen Ertrag zu generieren. Viele meiner Kollegen verdammen das Motto „Cash ist King“, aber dies hat gerade jetzt besondere Bedeutung. Banken vergeben aktuell sehr schnell und umfangreich Kredite. Außerdem sind die Antragspflichten für Insolvenzen bis Ende September außer Kraft gesetzt. Die Verschuldung nicht nur der Staatshaushalte steigt massiv an – auch die Verschuldung von Unternehmen aufgrund der Zuführung von Krediten zur Krisenüberbrückung. Denn alle Kredite erhöhen die Passivseite der Bilanz. Sie müssen zurückgezahlt werden. Vielen Unternehmen droht damit eine Überschuldung. Diese kann dann später Grund für eine Insolvenz sein.
Die Learnings müssen sein: Dauerhafte Überprüfung und Validierung des bestehenden Geschäftsmodells und Aufbau von möglichst skalierbaren Produktionen, die schnell veränderbar sind und in jedem Zustand Erträge erwirtschaften können. Die besondere Herausforderung besteht in der Geschwindigkeit, in der wir momentan und eventuell in Zukunft reagieren müssen. Hierauf müssen wir uns vorbereiten. Bei meinem derzeitigen Auftraggeber ist das seit Beginn des Mandats ein Thema gewesen. Nachweislich konnten wir den Break-even um mehrere Millionen Euro in die richtige Richtung steuern. Und das sowohl unter Volllast als auch unter Teillast der Produktionen.
Was ist jetzt notwendig, um nach der Krise möglichst schnell wieder auf das normale Produktionsniveau skalieren zu können?

Ein plötzlicher oder schneller Anlauf nach einem schnellen Herunterfahren von Produktionen ist ein schwieriges Szenario. Wir alle kennen Automobilzulieferer, die trotz voller Auftragsbücher insolvent gehen und das Hochfahren nicht schaffen. Dort sind meistens neue Produkte ein Treiber, dennoch gibt es Parallelen. Ein Anfahren ist planerisch ein sehr fein abgestimmtes Zusammenspiel aller Funktionen eines Unternehmens. Besonders dann, wenn beim schnellen Herunterfahren Wertstromketten intern als auch extern gerissen sind. Insbesondere die externen Lieferketten sind aufgrund der weltweiten Auswirkungen durch das Coronavirus betroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass zunächst keine Waren mehr aus China ankamen und China nun die Produktion wieder aufnimmt, Europa jetzt aber keine Teile liefern kann. Diese Asymmetrien durch eine globale Betroffenheit kannten wir bis dato in der Geschwindigkeit nicht.
Bei meinem Mandanten haben wir nach einem schnellen und kompletten Shutdown der Produktion (innerhalb von anderthalb Tagen wurden für 1.600 Mitarbeiter Homeoffice oder Kurzarbeit umgesetzt) mit allen Beteiligten ein Wiederanlaufszenario erarbeitet, das zunächst die gerissenen Wertströme auffüllt und die Ersatzteilbedarfe von unseren Kunden abdeckt. Die Besonderheit: Alle Maßnahmen sind zu 100% skaliert und kostengerecht. So schaffen wir die weiteren Anfahrstufen unserer Kunden, die alle individuell sind. Die Produktionen werden selektiv hochgefahren, die notwendigen zuzuliefernden Waren oder Materialien werden sehr eng gesteuert. Teilweise erfolgt dies individuell und nicht mehr über SAP. Das mag irrational anmuten, aber viele Kunden lassen Abrufe auf einem hohen Niveau. Dies wird durchgesteuert zu unseren Lieferanten. Also muss man individuell eingreifen und planen.
Das sind außergewöhnliche Herausforderungen innerhalb eines Unternehmens und dessen Belegschaft. Plötzlich muss intern und extern viel mehr kommuniziert werden, trotz Kontaktverbot. Die zusätzliche Kommunikation funktioniert oftmals via Videokonferenzen. Es sind die gemeinsamen neuen Ziele, die genau solche Maßnahmen als Treiber für den Erfolg und das Gelingen hervorbringen.
Wie kann ein Interim Manager bei der Umsetzung helfen?
Interim Manager sind häufig vor allem auf C-Level Manager, die nicht nur ein sehr umfangreiches Methodenset vorhalten, sondern auch Erfahrungen eines meist Jahrzehnte andauernden Berufslebens mitbringen. Sie sind top ausgebildet und haben bereits viele Krisen in ihrem unternehmerischen Wirken erfolgreich absolviert, oftmals in unterschiedlichen Branchen. Ich selbst habe fast mein ganzes Berufsleben Automobilzulieferer-Unternehmen geführt. Diese Erfahrung war für meinen Mandanten in der Corona-Krise ein echtes Asset. Die Überarbeitung der Planung des laufenden Geschäftsjahres mit den Phasen Shutdown, Wiederanlauf und reduzierter Topline benötigt viel Erfahrung. Genauso wichtig ist diese Erfahrung bei der Skalierung der Kosten. Allein die Kompetenz, einen Shutdown durchzuführen und diesen Stillstand unternehmerisch zur Vorbereitung für die anstehenden Aufgaben zu nutzen, ist nicht jedem Manager oder Unternehmensführer immanent.
Vergleichen Sie das Krisenszenario mit einem Piloten: Diese Berufsgruppe erledigt ihre verantwortungsvolle Aufgabe stetig mit einer hohen Qualität. Wenn es zu einer Krisensituation kommt und die Routine massiv durchbrochen wird, dann wünschen wir uns als Passagiere, dass die Verantwortlichen exakt die richtigen Maßnahmen treffen. Wir als Passagiere wissen das erst, wenn wir gelandet sind. Interim Manager sind in diesem Bild für Unternehmen vergleichbar. Anders als Piloten steigen sie oft erst in Krisensituationen zu und setzen ihre gelernten Methoden, Erfahrungen und kommunikativen Fähigkeiten schnell, präzise und höchst wirksam ein. Wir landen keine Flugzeuge – wir helfen Unternehmen, in Krisen effektiv und erfolgreich zu sein und so zu überleben. Danach übergeben wir die Unternehmen wieder an eine Crew, die mit uns gereift ist und gelernt hat, das Unternehmen ertragsgerecht und sozial verantwortlich fortzuführen. Das schafft für alle Beteiligten einen Mehrwert.
Welche Fähigkeiten müssen interimistische Führungskräfte im Bereich Produktion in der aktuellen Lage mitbringen?
Gerade jetzt ist Resilienz gefragt. Interim Manager müssen in der Lage sein, jede Veränderung mitzugehen. Gleichzeitig ist enorme Führungsstärke, nicht nur gesamtunternehmerisch, sondern auch in der Produktion gefragt. Wir geben neue Ziele vor und arbeiten gemeinsam mit den Teams in einer unglaublich kurzen Zeit an deren Umsetzung. Aufgrund unserer Erfahrung müssen wir neben der Kenntnis von gängigen Produktionsabläufen und der Erfüllung von Kennzahlen eins mitbringen – die Fähigkeit, zuversichtlich zu sein und diese Zuversicht an unsere Kollegen weiterzugeben. Interimistische Führungskräfte müssen dies ausstrahlen und vorleben. Wir führen in der Krise zuversichtlich, nachhaltig und erfolgreich. Denn wir sind vor allem Dienstleister für unsere Auftraggeber, die Menschen und Kollegen in den Unternehmen sowie deren Familien, Zulieferern und Kunden.
Alle Infos und Beiträge zur Corona-Krise finden Sie auf unserer Krisenmanagement-Spezialseite:
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