Fakten filtern, Tempo vorgeben – so arbeitet ein Restrukturierer
, von Julia Klein (Bridge imp)
Die meisten von uns sind in einer Welt aufgewachsen, die sich nicht jeden Tag ändert. Bestimmte Branchen, bestimmte Märkte waren sicher. Es gab keinen Zweifel am steten und steigenden Erfolg der Stahlindustrie, der Automobilbranche, von Handelsunternehmen oder Banken.
Die neue Beständigkeit ist der Wandel. Digitalisierung und Big Tech verändern die Welt und diese passt sich selbst laufend daran an. Auch in der alten Welt herrscht Unruhe: Familienunternehmen ohne Nachfolger, veränderte Lieferketten – hin zur Globalisierung und vielleicht wieder zurück – sowie kürzlich das Thema "Zombifizierung" der Wirtschaft.
Dr. Carsten Koblin ist als Interim CFO, CRO (Chief Restructuring Officer) oder Interim CEO im Einsatz und führt vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen, teils im Auftrag von Private Equity Gesellschaften, durch tiefgreifende Veränderungen wie Restrukturierungen und Eigentümerwechsel.
Im Interview erzählt er, was diese nicht alltäglichen Unternehmenssituationen mit den Mitarbeitern machen, warum er gerne für und mit Private Equity arbeitet und dass es auch Zahlen gibt, die er nicht kennen muss.
Wie wichtig ist es, den Mitarbeitern während einer Restrukturierung Sicherheit zu geben?
Koblin: Restrukturierung ist Stress. Für die Mitarbeiter bedeutet das Unsicherheit und Zukunftssorgen. Denn der Einzelne denkt natürlich nicht nur ans Unternehmen, sondern auch – und vielleicht vor allem – an sich selbst und seinen Job.
Als Restrukturierer fahre ich notgedrungen ein hohes Tempo. Das sorgt bei den meisten Mitarbeitern für Anspannung, die aber auch sein muss. Denn sie bewirkt besondere Leistungen. Mein Job ist es, den Stress positiv zu kanalisieren. Nur wenn die Leute zu aufgeregt sind, muss ich sie beruhigen.
Keine Anspannung hingegen bedeutet, dass der Ernst der Lage vermutlich nicht erkannt wird. Sind die Leute also zu entspannt, muss ich sie aufwecken. Eine Restrukturierung ist eben nicht business as usual.
Als CFO arbeiten Sie intensiv mit Investoren zusammen. Wie tickt Private Equity? Was ist anders als bei der Arbeit im Großkonzern?
Koblin: Private Equity ist straight. Die wollen Geld verdienen. Die Zusammenarbeit ist anspruchsvoll, aber es gibt eine konsequente, zahlenbasierte Logik. Hat man die einmal verstanden, findet man sich gut zurecht.
Im Konzern dagegen gibt es typischerweise die ganzen politischen Befindlichkeiten, Abhängigkeiten und Agenden, die man erst mal verstehen muss. Da geht es nicht immer nur um den Erfolg und die Zahlen, die mich als finanzorientierten Manager interessieren.
Die Stärke eines Interim Managers liegt auch darin, dass er nur eine kurze Einarbeitungszeit braucht. Wie gehen Sie an eine neue Aufgabe heran?
Koblin: Man muss seine Hausaufgaben machen, bevor man überhaupt ankommt. Ich versuche also, mich über das Briefing hinaus vorher schon schlau zu machen – durch Unternehmensquellen, Presseartikel und mein Netzwerk.
Der zweite Schritt ist, in den ersten 1-2 Wochen mit möglichst vielen Leuten zu reden. Hierzu gehe ich auch an die Front – sei es im Sortierzentrum am Band stehen oder in der Produktion die Metallspäne schmecken. Nichts ist eindrücklicher als ein paar Tage im Feld.
So mache ich mir schnell ein Bild und bekomme ein Gespür für die Leute und die Themen. Das ist wichtig, denn ich muss sofort und gleichzeitig Entscheidungen treffen und umsetzen. Hart am Wind hat man keine Zeit für eine reine Analysephase, die man sich bei ruhigerem Fahrwasser nehmen kann.
Welche Quellen sind vertrauenswürdiger – die externen oder unternehmensinterne?
Koblin: Die Vorbereitung kann nie so tief gehen wie interne Einblicke, die man selbst gewinnt. Dabei bin ich auf die Mitarbeiter angewiesen – meine eigenen, andere links und rechts meiner Linie sowie teils auch den Betriebsrat. Meine Ansage ist: Ihr könnt mir alles sagen – aber bitte jetzt. Dann lösen wir es konstruktiv.
Grundsätzlich gilt: Information werden einem nie vollständig auf dem Silbertablett serviert. Man muss auch zwischen den Zeilen lesen, kleinere Schnipsel zum großen Ganzen zusammensetzen und Widersprüche erkennen können.
Oft stellen sich die Dinge nach kurzer Zeit nuanciert anders dar als im Briefing formuliert. Gewisse Sachen, die eingangs nicht erwähnt wurden, stellen sich als wichtig und teils dramatisch heraus – andere weniger.
Sind Informationen, Daten, Fakten also die ultimative Währung? Und je mehr, desto besser?
Koblin: Nein, nicht alles ist wichtig für mich. Ich darf in der Fülle an Informationen auch nicht untergehen. Als Interim Manager habe ich einen klaren Auftrag für eine begrenzte Zeit und brauche die dafür essenziellen Infos. Stichwort Filtern: Ich muss Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden und damit die Mitarbeiter fragen, ob ich dies und jenes Detail wirklich wissen muss. Fokus!
Mehr zum Interviewpartner:
Dr. Carsten Koblin ist als Interim CFO und CRO international und über verschiedene Branchen hinweg im Einsatz. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Restrukturierungen und Eigentümerwechsel. Durch viele Projekte in mittelständischen Unternehmen arbeitet er häufig mit Private Equity zusammen. Früher war er länger als Unternehmensberater tätig und ein paar Jahre Eigentümer eines KMU.
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