Mitarbeiter des Monats? Willi und die Wertstromanalyse
, von Julia Klein (Bridge imp)
Inmitten der Corona-bedingten Halbleiterkrise wurde Willi als Unterstützung der Produktionsplanung bei einem Tier-1-Zulieferer für den Automobilsektor eingestellt. Der Arbeitsauftrag: Produktionsdaten zusammenführen und zentral auswerten. Das große Ziel: Wertströme und Engpässe ermitteln und damit der virulent existierenden Steuerungsproblematik ein Ende bereiten.
Seit dem ersten Arbeitstag landen SAP-Auftragsdaten, Maschinenverfügbarkeit, SAP-Dispositionsdaten, Stücklisten–Informationen (BOM) und 8D-Reports auf Willis Tisch. Die endlose Datenmasse würde jeden anderen schier überfordern, von der Analyse und Visualisierung der Produktwertströme ganz abgesehen. Aber die Anforderung der IFA Powertrain GmbH ist genau Willis Ding.
Für alle Produkte und verschiedenste Zeiträume berechnet Willi die relevanten Leistungsparameter: Warte- und Liegezeiten, Bearbeitungszeiten, Ausschuss usw. Die Ergebnisse visualisiert Willi pro Produkt in einem Web-Dashboard, einem ausführlichen PDF-Report oder in Excel.
Auch wenn die anderen 150 Mitarbeiter der Werkslogistik es inzwischen fast vergessen haben, Willi ist kein Kollege wie jeder andere. Willi ist ein Digitaler Kollege, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz.
Unmenschliches Aufgabenspektrum
Wir sind misstrauisch, wenn es um die Digitalisierung von menschlicher Arbeitskraft geht. Doch das Bild von der jobfressenden Maschine tut Willi unrecht. In monatelanger Suche wurde kein geeigneter menschlicher Bewerber für die auflaufenden Aufgaben gefunden. Die komplexe Lieferkette wurde indes zunehmend unüberblickbar.
Die gesuchte Person sollte den Logistikbereich mit den Abteilungen Logistikplanung, Beschaffung, Produktionsplanung und operative Logistik leiten. Sie sollte die globale Verantwortung für Auftragseingang, Produktionsplanung, Disposition und Lieferantensteuerung übernehmen. Wichtig war, Kontinuität in der Logistik zu etablieren und Kosten einzusparen.
Je länger die Suche dauerte, desto mehr machte sich die Erkenntnis breit, dass das Aufgabenfeld zu viel für einen Menschen war. Oder wie Manfred Meyering, Managing Director bei IFA Powertrain, es formulierte: „Den Menschen, den wir suchen, gibt es nicht.“
Also verteilte man die Aufgaben auf zwei Positionen und besetzte diese mit einem Interim Manager – für den strategischen Blick und mit der operativen Erfahrung – und einem Digitalen Kollegen – für die essenziellen, aber zeitaufwändigen Auswertungen der Produktions- und Logistikdaten.
Wie gut ist digitale Arbeitskraft?
Wenige Wochen nachdem Willi gestartet ist, haben wir Manfred Meyering nach seinem ersten Eindruck gefragt.
Wie ist es für die Kollegen, mit einem Bot (vom engl. „robot“ = Roboter) zusammenzuarbeiten?
Manfred Meyering: „Die Mitarbeiter interagieren mit ihm. Willi, wie sie ihn selbst genannt haben, schickt Erinnerungsmails. Die Mitarbeiter schicken ihm Fragen und er antwortet. Die Mitarbeiter in der Logistik sind voll dabei. Selbst die, von denen ich es nie erwartet hätte. Die wollen, dass wir weiter mit Willi arbeiten.“
Welchen Mehrwert bringt Willi denn?
Manfred Meyering: „Er sorgt für einen enormen Geschwindigkeitsgewinn. Wertströme und Bottlenecks zu ermitteln, ist eine Frage von Stunden. Das macht er quasi nebenbei. Es funktioniert so gut, dass wir uns eine Unternehmensberatung zur wochenlangen Wertstromermittlung sparen können.
Schon nach 4 Wochen hatten wir den Wertschöpfungsgrad bei 4 unserer Hauptprodukte um mehr als 100% gesteigert. Nach 6 Wochen hatten wir die Durchlaufzeiten um mehr als 60% und die auftragsbezogene WIP [Ware in Arbeit] um mehr als 50% verbessert."
Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit mit einem Kollegen wie Willi?
Manfred Meyering: „Sie trainieren einen Bot, der analysieren, Schlüsse ziehen und in der Endstufe handeln kann. Das Ganze ist vom Ansatz her ziemlich clever: Der Bot analysiert Zusammenhänge und Auffälligkeiten viel schneller als Sie. Mit gezieltem Training kann er mehr und mehr die Arbeit übernehmen – bis dahin, dass er die komplette Planungssteuerung übernehmen kann.“
Welche Daten braucht Willi?
Manfred Meyering: „Vorhandene Standarddaten reichen vollkommen aus, um den Bot zu füttern. Voraussetzung ist, dass Sie verwertbare Daten haben. Wir sammeln diese seit langen Jahren auf Basis der Betriebsdatenerfassung. Um den Datenschutz sicherzustellen, greift Willi auf anonyme Daten zu.“
Künstliche Intelligenz, echte Optimierung
Willi ist ein Zögling der ALAIQ Technologie GmbH, einem Kooperationspartner von Bridge imp. Das Unternehmen ist auf die Programmierung von künstlicher Intelligenz (KI) im Produktionsumfeld spezialisiert.
Bridge imp vermittelt Interim Manager und Bot-Trainer, die die Einführung der Bots begleiten und Optimierungen in die Wege leiten, die auf den Ergebnissen der umfangreichen KI-Auswertungen basieren. Einfach gesagt: Der Bot findet die Probleme, der Bot-Trainer und Interim Manager löst sie.
KI-Bot Willi im Projektvergleich
Herkömmlicher PDCA vs. KI-gestützter Ansatz:
Die Vorteile der KI-Unterstützung:
- Willi identifiziert Probleme
- Willi analysiert die Probleme und verbessert die Situation gemeinsam mit der Organisation
- Willi überprüft detailliert die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen
- Mitarbeiter können sich auf das Verbessern konzentrieren
- Willi gibt Feedback zu Problemlösungen
- Zukünftig soll Willi bestimmte Probleme selbst erkennen und lösen können
Anwendungsgebiete von künstlicher Intelligenz
Wertstromanalyse oder Value Stream Mapping (VSM) ist nur ein Einsatzfeld. Digitale Kollegen können im Produktionsumfeld vielseitig unterstützen:
- Verbesserung der Vorhersage von Kunden-Forecasts,
- Reihenfolgeplanung,
- Optimierung von Wiederbeschaffungszeiten,
- Fehlteile-Verfolgung,
- Priorisierungsthemen,
- Produktionsplanung einschließlich der Lieferterminermittlung,
- Einkaufs- und Lageroptimierung.
An jeder Stelle geht es darum, den Mitarbeitenden die Arbeit leichter und die Ergebnisse gemeinsam besser zu machen. Zeitaufwändige, komplexe Analysen werden vom Bot erledigt und entlasten die Mitarbeiter im Tagesgeschäft. So haben qualifizierte Mitarbeiter mehr Zeit, sich um wichtige Themen in ihrem Bereich zu kümmern.
Wo fachlich versiertes Personal besonders schwer zu finden ist, nämlich in sehr komplexen Ausgangslagen, ermöglichen Digitale Kollegen eine schnelle und individuelle Besetzung. Jeder Bot wird auf die jeweilige Aufgabe angepasst und eingelernt.
Verbesserung aller Prozess-Schritte
Wie denkt Willis Chef, nachdem der Bot seit einem dreiviertel Jahr im Einsatz ist, über den Digitalen Kollegen und die geleistete Arbeit? Sind Sie immer noch so begeistert?
Manfred Meyering: „Wir dürfen Willi nicht separat von der Organisation sehen. Wenn man erfolgreich Digitale Kollegen im Unternehmen einsetzen will, dann geht das nur gemeinsam. Auf diese Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Bot legen wir sehr viel Wert und das ist es, was uns vollständige Transparenz bringt und die Möglichkeit, schnell Verbesserungen zu erzielen. Und genau diese nachhaltigen Verbesserungen, die wir dank Willi hier erzielen konnten, sind mein oberstes Ziel, wenn ich als Manager Veränderungen anstoße.”
Planen Sie das Einsatzgebiet von Willi zu erweitern?
Manfred Meyering: „Wir sehen enormes Potential in der Zusammenarbeit mit Willi und rollen daher dessen Arbeit in den nächsten Monaten weltweit in unserer Organisation aus. Der nächste große Schritt ist dann, Willi gezielt weiter zu trainieren und noch mehr in den Bereichen Planung, Produktion und Logistik, aber auch in Bezug auf Qualität zu profitieren.“
Willi ist zu einem wertvollen Teammitglied geworden, nimmt den Kollegen gerne Arbeit ab und ist nie schlecht gelaunt. Wenn diese Leistung mal nicht den Titel „Mitarbeiter des Monats“ verdient.
Eine unübersichtliche Datenstruktur schadet Ihrer Produktion? Sie interessieren sich grundsätzlich für den Einsatz eines Digitalen Kollegen und möchten mehr über Ablauf, Kosten und zu erwartende Ergebnisse erfahren? Antje Lenk berät Sie gerne unverbindlich. Rufen Sie an (+49 89 32 49 22–26) oder schreiben Sie eine E-Mail (al@bridge-imp.com).
Mehr zum Interviewpartner:
Manfred Meyering ist als CRO, CEO und COO tätig und verfügt über 30 Jahre funktionsübergreifende Managementerfahrung in der Automotive- und Investitionsgüterindustrie, u.a. bei einem weltweit tätigen OEM, namhaften Tier1-Zulieferern, Linde Material Handling, Lufthansa, Deutz, Heraeus und zuletzt IFA Holding. Meyering bringt umfängliche internationale Erfahrung mit und besitzt tiefgehende fachliche Expertise in der operativen Sanierung/ Restrukturierung/ Reorganisation von Unternehmen, Programm- und Projektmanagement, Operations, Entwicklungsmanagement (Entwicklungsprojekte, Reifegradprozesse, Produktkostenoptimierung), internationale Geschäftsentwicklung und Vertrieb sowie Supply Chain Management.
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